Flucht zum Mars von Herbert W. Franke

Wenn es um deutschsprachige Science Fiction Literatur geht scheint es kaum bekannte Namen zu geben. Warum?

Gibt es sie tatsächlich nicht? Nein, die Dominanz der anglophonen Länder also USA, UK etc. ist schlicht erdrückend.

Wer aus Deutschland, Frankreich oder gar Polen stammt hat kaum eine Chance mit seiner SF von einem großen Publikum wahrgenommen zu werden.

So werden etwa die Hugo und Nebula Awards für Sci-Fi Schriftsteller/innen grundsätzlich an Amerikanische Verfasser/innen verteilt.

Weder Größen wie Lem oder Strugatzki wurden jemals für den Hugo oder Nebula berücksichtigt. Klingt ein wenig nationalistisch, nicht?

So habe ich kürzlich einen Roman von Pierre Bordage aus Frankreich gelesen und war ziemlich gefesselt. Vielleicht schreibe ich davon auch ein Review.

Danach habe ich Flucht zum Mars von Herbert W. Franke gelesen. Das ist das neueste Buch des in Österreich geborenen Autors und ist 2007 bei DTV erschienen.


State of the Art Cover sozusagen

Positiv überrascht war ich schon von der ansprechenden Cover-Gestaltung und dem Format sowie Papier des Buches an sich.

Zunächst befürchtete ich noch die typischen Mars-Klischees vorzufinden.

Flucht zum Mars stellte sich als gepflegte Dystopie heraus in der besten Tradition von Fahrenheit 451 oder Schöne Neue Welt.

Der Roman ist wie ein Zwiebel aufgebaut. Gemeinsam mit den Protagonisten tappen wir zunächst im Dunkeln, außer dass diese zumindest über ihre eigene Gesellschaft mehr wissen als wir.

Betont objektiv ohne allzu deutlich zu urteilen wird zunächst eine scheinbar glückliche Zukunft der Menschheit dargestellt. Doch das Bild erhält nach und nach Risse.

Eine Gruppe von Kriminellen bzw. „nicht angepassten“, denn Kriminalität gibt es eigentlich offiziell in dieser Zukunft nicht, fliegt zum Mars.


Reality TV vorgeführt

Das geschieht im Rahmen eines Reality-Spektakels fürs Unterhaltungsfernsehen oder dessen zukünftigen Pendant.

Seltsamerweise werden die Laien-Darsteller/innen aber nicht über die übliche Mischung aus Casting und Lotterie ausgewählt sondern nach seltsam anmutenden Kriterien.

  • Werden sie verbannt?
  • Ist das Spiel nur ein Vorwand?
  • Was hat es mit der Flucht aus dem Titel für eine Bewandtnis?

Nach und nach erfahren wir mehr darüber während die Gruppe aus 6 Männern und zwei Frauen in einem Raumschiff aus dem Museum.

Die Raumfahrt wurde inzwischen als unnötig abgeschafft, während sich die Gruppe mühsam auf eine verlassene Mars-Station der Chinesen zu bewegt.

Sind am Ende doch noch Chinesen dort? Ist die Mars-Oberfläche gar inzwischen bewohnt? Je weiter es geht desto spannender wird es.

Ich habe Flucht zum Mars innerhalb kurzer Zeit verschlungen und war im Nachhinein sehr verwundert. Warum?

Ich las die vielen negativen Bewertungen bei Amazon und anderswo. Die Kritik scheint sich meist auf verfehlte Erwartungen zu beziehen.


Fehlgeleitete Amazon-Kritiken

Dem Roman wird vorgeworfen die Protagonisten, also etwa der Mars-Begeisterte Alf der am häufigsten im Mittelpunkt steht, seien nicht geeignet sich mit ihnen zu identifizieren.

Der Mangel an „Action“ oder die unrealistische Darstellung der Zukunft wird ebenso bemängelt. Das ist alles recht seltsam.

Mir scheint die Kritiker des Buches haben eine Space Opera erwartet und

  • strahlende Helden
  • viel Geballer
  • hypermoderne Raumschiffe

Stattdessen zeigt Franke, dass es auch anders geht. Die Zukunft muss nämlich einen Weg linearen Fortschritts gehen wie wir ihn heute verstehen.

Es gibt also immer ausgereiftere Technik, immer höher entwickelte Zivilisation. Es kann auch Stagnation geben oder sogar eine Rückfall in eine Zukunft voller Debilität.

Herbert W. Franke hat einen Spannungsreichen Zukunftsroman für den anspruchsvollen SF-Fan verfasst.

Wer nur mit Star Wars aufgewachsen ist dem mag das Buch missfallen. Es ist kein reines Weltraumabenteuer.


Mehr als Weltraum-Schlachten

Wer von Science Fiction mehr als Weltraum-Schlachten erwartet der ist bei Flucht zum Mars goldrichtig.

Ich frage mich wie ich Herbert W. Franke so lange Jahre ignorieren konnte.

Ich denke ich habe mal als Jugendlicher seinen Roman Die Glasfalle gelesen aber ich kann mich nicht mehr entsinnen.

Das erstaunlichste an Flucht zum Mars ist: Der Autor hat das Buch mit 80 Jahren verfasst!

Der durchschnittliche Deutsche ist in dem Alter entweder tot oder längst senil. Bei Herbert W. Franke hingegen herrscht messerscharfe Beobachtungsgabe.

Ich wünschte ich würde mit 80 auch so schreiben können. Oder mit 40. Vielleicht kann ich es bis dahin.

Nach französisch und deutsch ist demnächst Polnisch dran, das muss ich allerdings im Original lesen.

Auf deutsch gibt es den vielfach preisgekrönten würdigen Lem-Nachfolger Jacek Dukaj noch gar nicht, höchstens auf Englisch.

Da wird mal wieder klar wie dominant die Englischsprachige Kultur ist, auch im Bereich der SF wo es längst in anderen Ländern großartige Geschichten gibt.